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Deutschland 2022 – weit entfernt vom bidirektionalen Laden

Technisch machbar, regulatorisch setzt sich Deutschland beim bidirektionalen Laden Grenzen.

Das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 ist elementarer Bestandteil um eine irreversible und gravierende Klimakrise aufhalten zu können. Freilich sind erneuerbare Energie – insbesondere Wind- & Solarstromproduktion – der Schlüssel zu einer klimafreundlichen und sauberen Zukunft. Doch neben dem derzeit teilweise stockenden Ausbau der Technologien zeigen sich insbesondere noch ungeklärte Fragen im Bereich der Stromspeicherung problematisch für eine umfassende Klimaneutralität in Deutschland. Genau in diesem Bereich könnte das bidirektionale Laden von Elektrofahrzeugen eine mögliche Lösung für die Zukunft darstellen.

Bidirektionales Laden bedeutet, dass Elektrofahrzeuge in der Lage sind intelligente Be- und Entladevorgänge durchzuführen. Daraus ergeben sich neue ungeahnte Möglichkeiten: Die Elektrofahrzeuge stellen mobile Speichermöglichkeiten dar und können hierdurch Schwankungen im Netz abfangen; gleichzeitig ließe das bidirektionale Laden aber auch die Sicherstellung der Stromversorgung bei hoher Nachfrage zu, ebenso wie Haushalte sich nahezu autark versorgen könnten (Vgl. Energie-experten 2020; Vgl. Swiss eMobility und sun2wheel AG 2021).

Warum nutzt Deutschland diesen Mehrwert der elektrisch betriebenen Fahrzeuge noch nicht?

Hierfür sind diverse Aspekte verantwortlich:

Normen und Zertifizierungen

Zum einen regeln verschiedene Normen und Zertifizierungen den Entladevorgang, bzw. genauer gesagt die Kommunikation, ab. Insbesondere die ISO 15118-20, EEBUS und OCPP 2.0 spielen hierbei übergeordnete Rollen (Vgl. Noel et al. 2019, S. 79; Vgl. Energie-experten 2020). Problematisch zeigt sich die bisher unvollständige Umsetzung und Fertigstellung. Zudem ließe sich der gesamte Prozess auch deutlich vereinfachen, indem eine einheitliche Gestaltung vorangetrieben werden würde. Dadurch könnte den Benutzern die Handhabung am bidirektionalen Laden vereinfacht werden. Anstelle vieler kleiner Normen und Zertifizierungen gäbe es somit ein übersichtliches Arbeitspapier, anhand dessen sich die Benutzer orientieren können.

Smart Meter Gateway

Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen für die energietechnischen Betrachtungen teilweise ungenügend – Stichwort Smart Meter Gateway und intelligente Messsysteme (Vgl. Energie-experten 2020).

Ladesäulenverordnung

Ein bereits bestehendes Gesetz ist die Ladesäulenverordnung. In dieser sind Begriffsbestimmungen zu Elektromobilen und der Ladeleistung zu finden (Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Bundesamt für Justiz 2021). Bisher sind keine Definitionen oder technische Voraussetzungen des bidirektionalen Ladens vorzufinden.

Elektromobiltätsgesetz

Eine weitere Bestimmung ist das Elektromobilitätsgesetz. Dieses zeigt sich aber ebenfalls als nicht gänzlich ausgereift und bedarf Änderungen hinsichtlich spezieller Privilegien. Es könnte beispielsweise geregelt werden, dass Ladesäulen, die das bidirektionale Laden unterstützen, besonders gekennzeichnet sein müssen. Ebenso ist die Aufnahme klarer Definitionen der verschiedenen Rückspeisungsmöglichkeiten (V2H, V2G, V2B, …) nötig.

Masterplan

Daraus ergibt sich jedoch eine weitere Schwachstelle: Der Masterplan. In dessen Beschlüssen steht die Zahl von 10 Millionen Elektrofahrzeugen bis 2030 verankert, ebenso wie die Erhöhung öffentlich zugänglicher Ladepunkte von einer Millionen Stück bis 2030 (Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE 2022). Eine klare Regelung darin, ob und wie viele dieser E-Autos das bidirektionale Laden unterstützen sollen und auch welche Ladesäulen den Stromfluss in beide Richtungen unterstützen, bleibt aus. Insofern das bidirektionale Laden in einigen Jahren tatsächlich großflächig eingesetzt werden würde, wäre die gesamte bereits geschaffene Infrastruktur hierfür nicht ausgelegt. Ein intelligentes und vorausschauendes Handeln könnte kostspielige und zeitlich aufwendige Arbeit vermeiden, um so den Grundstein für bidirektionale Laden in der Zukunft bereits jetzt zu legen.

Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG)

Eine weitere große Hürde stellt das Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) dar. Elektroautos werden weder als mobile Speicher noch generell zur Energiespeicherung berücksichtigt. Zudem sind die Regelungen der EEG-Umlage sehr umfassend und für einen Laien undurchsichtig, aber unbedingt zu beachten, da durch die Stromeinspeisung mit den Fahrzeugen (ggf. in das öffentliche Netz) eine Verpflichtung vorliegt, dass mit jeder eingespeisten Kilowattstunde an einen Letztverbraucher, EEG-Umlage abzuführen ist (Vgl. Roos et al. 2019, S. 14-16; Vgl. Linnemann und Nagel 2020, S. 65). Durch eine Überführung der aktuellen Regelungen auf das bidirektionale Laden ergibt sich, dass die EEG-Umlage anfällt, womöglich sogar doppelt, wenn das Fahrzeug durch den produzierten Strom an einer PV-Anlage beladen wurde und anschließend den Strom in das öffentliche Netz abgibt. Es existieren bereits mehrere Vorgaben für Photovoltaikanlagen (und die Beladung von Elektrofahrzeugen an dieser), in welchen Fällen die EEG-Umlage nur zu einem gewissen Teil anfällt oder auch ganz entfällt. Da diese wie bereits erwähnt undurchsichtig sind, wäre eine Vereinfachung ratsam, denn durch die neu hinzukommenden Vorgaben des bidirektionalen Ladens könnte es nahezu undurchschaubar werden. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass das EEG einige Paragraphen enthält, welche sich auf die EEG-Umlage beziehen. Diese beginnen bei § 60 und enden mit § 61l. Darin sind Speicher mit Netzeinspeisung noch nicht ausreichend erfasst und das System ist komplex, da es einige Möglichkeiten zur Erbringung und Umgehung der Umlage gibt. Es ist derzeit unklar, ob und in welcher Höhe die EEG-Umlage anfallen könnte.

EnWG

Unterschiedliche Definitionen des Letztverbrauchers sind im EEG und EnWG vorzufinden (Vgl. Bundesnetzagentur 2021, S. 6). Der Gesetzgeber sollte an dieser Stelle spätestens bei Einführung des bidirektionalen Ladens für Klarheit sorgen und einheitliche Definitionen schaffen.

Cybersicherheit

Bedenken zur Cybersicherheit dürfen beim bidirektionalen Laden nicht außer Acht gelassen werden, da große, sensible Datenmengen stetig im Umlauf sind. Hacker könnten den Standort des Fahrzeugnutzers ausfindig machen und das Mobilitätsmuster bestimmten. Die Privatsphäre und Sicherheit müssen zu jedem Zeitpunkt gegeben sein (Vgl. Lauinger et al. 2017, S. 3; Vgl. Noel et al. 2019, S. 77).

Einspeisevergütung

Wird davon ausgegangen, dass eine Vergütung für die Einspeisung des Stroms in das öffentliche Netz ausgezahlt wird, könnte diese die Höhe des aktuellen Strompreises betragen. Dies könnte allerdings dazu führen, dass sich PV-Anlagen-Besitzer benachteiligt fühlen, welche zur gleichen Zeit mit ihrer Anlage einspeisen. Besitzer von bidirektional fähigen Elektroautos würden somit vermutlich den Weg der Einspeisung über das Auto wählen, da hierbei höhere Vergütungen erzielt werden können.

Steuerrechtliche Seite

Bei der Betrachtung der steuerrechtlichen Seite des bidirektionalen Ladens, kann diese aktuell mit der Einspeisung von PV-Anlagen verglichen werden. Durch die Einspeisung von Strom und somit gleichzeitig dem Verkauf von diesem, fällt die Umsatzsteuer an und der Betreiber wird zum Unternehmer und eine Gewinnerzielungsabsicht wird unterstellt (Vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern 2021, S. 5–8). Gleiches gilt folglich auch bei der Einspeisung des Stroms durch das Fahrzeug in das öffentliche Netz. Hierzu finden sich allerdings noch keinerlei gesetzlichen Vorgaben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob wirklich „Gewinne“ mit dem Fahrzeug erzielt werden möchten. Falls die Gesetzgebung dies vorsieht, würde eine Möglichkeit darin bestehen, einen Art Freibetrag festzulegen, für welchen bis zu einer gewissen Grenze keine Steuern anfallen. Zusätzlich ergibt sich durch das aktuelle Gesetz eine Doppelbesteuerung (durch die Beladung und anschließende Entladung fällt beide Male Steuer an) und das System des Rückspeisens ist unattraktiv gestaltet. Dies sollte zuvor abgeschafft werden. Eine Grauzone stellt auch das kostenlose Beladen der Fahrzeuge beim Arbeitgeber und das anschließende Einspeisen des Stroms in das (Haus-)netz dar.

Fazit

Durch diesen Ausschnitt der deutschen Gesetzgebung wird ersichtlich, dass noch klare Lücken, Anpassungen oder gar Hemmnisse bestehen, welche das bidirektionale Laden derzeit in Deutschland noch nicht ermöglichen. Auch der bürokratische Aufwand muss unbedingt vereinfacht werden.

Eins steht jedoch fest: Das Entladen in das eigene Hausnetz (V2H) ist regulatorisch weitaus einfacher, als die Entladung in das öffentliche Stromnetz (V2G), womit sich schlussfolgern lässt, dass V2H vermutlich schneller eingeführt wird, als V2G.

Pilotprojekte, betriebsfähige Kraftfahrzeuge sowie Ladesäulen und Wallboxen existieren bereits. Andere Länder (z. B. Niederlande) setzen das bidirektionale Laden bereits um. Deutschland hinkt hier deutlich hinterher. Das Potenzial und die großen Speichermengen der Fahrzeuge dürfen künftig nicht verloren gehen, zumal jeder einzelne E-Fahrzeugbesitzer Teil einer neuen, erneuerbaren Zukunft werden kann.


Grundlage für diesen Blogbeitrag ist die Bachelorarbeit von Selina Meilinger, welche den Studiengang „Management erneuerbarer Energien“ absolvierte sowie folgende Literatur:

Bayerisches Landesamt für Steuern (2021): Hilfe zu Photovoltaikanlagen. Hg. v. Bayerisches Landesamt für Steuern. Online verfügbar unter https://www.finanzamt.bayern.de/Informationen/Steuerinfos/Weitere_Themen/Photovoltaikanlagen/Hilfe_fuer_Photovoltaikanlagen_2021.pdf, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz; Bundesamt für Justiz (2021): Verordnung über technische Mindestanforderungen an den sicheren und interoperablen Aufbau und Betrieb von öffentlich zugänglichen Ladepunkten für Elektromobile (Ladesäulenverordnung). LSV, S. 1–4. Online verfügbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/lsv/LSV.pdf, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE (2022): Masterplan Ladeinfrastruktur. Mehr Ladestationen für Elektroautos. Online verfügbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/ladeinfrakstruktur-1692644#:~:text=Masterplan%20Ladeinfrastruktur%20Mehr%20Ladestationen%20f%C3%BCr,Bundeskabinett%20nun%20einen%20Masterplan%20beschlossen, zuletzt aktualisiert 2022, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Bundesnetzagentur (Hg.) (2021a): EEG-Umlage und Meldepflichten im Kontext von Elektromobilität. 31. Fachgespräch Clearingstelle EEG/KWKG. Online verfügbar unter https://www.clearingstelle-eeg-kwkg.de/sites/default/files/node/4392/02_Boehm_neu.pdf, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Energie-experten (2020): Bidirektionales Laden von Elektromobilen. Online verfügbar unter https://www.energie-experten.org/e-mobilitaet/elektroauto/laden/bidirektional, zuletzt aktualisiert am 22.10.2020, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Lauinger, Dirk; Vuille, François; Kuhn, Daniel (Hg.) (2017): A review of the state of research on vehicle-to-grid (V2G): Progress and barriers to deployment. European Battery, Hybrid and Fuel Cell Electric Vehicle Congress. Geneva, 14-16.03.2017. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/315144641_A_review_of_the_state_of_research_on_vehicle-to-grid_V2G_Progress_and_barriers_to_deployment, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Linnemann, Marcel; Nagel, Christoph (2020): Elektromobilität und die Rolle der Energiewirtschaft. Rechte und Pflichten eines Ladesäulenbetreibers. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Noel, Lance; Rubens, Gerardo Zarazua de; Kester, Johannes; Sovacool, Benjamin K. (2019): Vehicle-to-Grid. A Sociotechnical Transition Beyond Electric Mobility. Cham: Springer International Publishing (SpringerLink Bücher)

Roos, Maria; Krehan, David; Battaglia, Manuel; Könning, Mathis; GP Joule GmbH (2019): Photovoltaik und Elektromobilität sinnvoll kombinieren. Ein Leitfaden für Gewerbebetriebe in Deutschland. Hg. v. BSW – Bundesverband Solarwirtschaft e. V. Berlin. Online verfügbar unter https://www.pvp4grid.eu/wp-content/uploads/2019/08/1905_PVP4Grid_Bericht_Deutschland_RZ_web_BSW.pdf, zuletzt geprüft am 06.03.2022.

Swiss eMobility; sun2wheel AG (2021): Bidirektionales Laden. Online verfügbar unter https://www.swiss-emobility.ch/de/Laden/bidirektionales-Laden.php#anchor_4e77e05b_Accordion-Was-kann-V2X-zur-Stabilitaet-der-Stromversorgungbeitragen, zuletzt aktualisiert 08.2021, zuletzt geprüft am 06.03.2022.


Kommentare

Ralph Fischer Januar 4, 2023 um 2:30 pm

Was bei der ganzen Diskussion übersehen wird ist das abgesehen vom vorzeitigen Altern der Batterie durch das zusätzliche Laden und Entladen auch noch bei jedem Schritt ungefähr 8% an Energie verloren geht. Was bedeutet das man ungefähr 16% mehr lädt als man nachher herausbekommt.

Um das alles auzugleichen müsste die Vergütung also einige Cent höher sein als der Preis für den ladestrom. Zusätzlich zu dem höheren Preis den man anbieten muss, damit überhaupt jemand auf die Idee kommt, sein Auto dafür zur Verfügung zu stellen.

Das macht sonst keiner. Und wenn der Gesetzgeber auf die Idee kommt das verpflichtend zu machen, weil ja jeder die EE Wende retten will und muss, dann möchte ich mal den Aufstand sehen

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cupsi Oktober 20, 2022 um 6:32 am

wenn unser neuer FDP Verkehrsminister Wirsing sich profilieren möchte dann könnte er doch mal anfangen diese Hürden abzubauen. schliesslich wollte die FDP sich doch um bürokratieabbau Vereinfachung ist kümmern.

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Christian Oktober 20, 2022 um 6:45 am

Im neuen Masterplan 2 wird das Thema Bidirektionalität endlich aufgegriffen. Bis Q2/23 soll es eine Entscheidung geben, wie es weiter geht bzw. (hoffentlich) endlich mal anfängt.

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